Ein Gespräch mit ISI-Vorstandmitglied Shahla Payam
Liebe Shahla, Du lebst schon lange in Berlin und bist vor vielen Jahren aus dem Iran hierher gekommen. Wie hast du den Neuanfang hier erlebt?
Ja, ich kam 1972 nach Frankfurt. Ich habe dort studiert. Am Anfang war es sehr schwer. Es war noch nicht so multikulturell wie heute. Jetzt ist es ganz anders. Eine ganz große Entwicklung im Vergleich zu früher, was Ausländer angeht. Worauf ich auch stolz bin, dass ich diese Entwicklung von den Siebzigern bis heute mitgemacht habe.
Was hat sich verändert?
Es hat sich viel verändert. Vieles hat sich geändert, was das Recht und die Gesetze für Ausländer betrifft. Damals war es schwierig. Man konnte hier keine Arbeitserlaubnis bekommen. Wir durften nur hier studieren und dann wieder gehen. Alle sechs Monate mussten wir unsere Aufenthaltserlaubnis neu beantragen. Wir mussten uns selbst finanzieren. Und mit der Wohnung war es sehr schwierig. Überall stand „KA“, ich hab das nicht verstanden, das hieß „keine Ausländer“… überall in den Zeitungen, wenn man eine Wohnung gesucht hat. Und das war ein Gefühl, nicht dazu zu gehören. Nicht nur juristisch, gesetzlich, sondern auch menschlich. Dank vieler Aktivitäten, vor allem von Frauen, die ich an der Universität kennengelernt habe, gab es einen großen Sprung nach vorne. Wir sind aus dem Iran als Frauen mit der Einstellung gekommen, dass wir einfach nach vorne schauen, etwas Modernes studieren, zurückkommen und das Land aufbauen. Und natürlich haben wir diese Kraft, diese Energie hier investiert.
Und du bist schon lange im Verein. Wann und wie bist du zu ISI gekommen?
Ich habe mich schon immer für Jugendliche und Familien eingesetzt, natürlich auch für Frauen. Ich habe verschiedene Vereine mitgegründet und ein Praktikum an der TU bei Frau Lucía Muriel gemacht. Von ihr habe ich viel gelernt und sie war es auch, die gesagt hat, Shahla, komm zu ISI, da bist du richtig. Mein Lebensinhalt ist andere Menschen zu lieben und mich nützlich zu machen. Das ist das, was mich motiviert, Menschen, die vielleicht jahrelang immer benachteiligt waren, Kinder, Jugendliche und eben Frauen mit Migrationsgeschichte. Denn ich habe das selbst erlebt. Ich habe Informatik studiert, durfte danach nicht in meinem Fach arbeiten. Ich hatte keine Arbeitserlaubnis, keine Wohnung, keinen Aufenthaltserlaubnis, ich saß zwischen den Stühlen. Und das war zur Zeit des Krieges im Iran. Als die Mauer in Berlin fiel, verloren viele Menschen mit Migrationsgeschichte ihre Arbeit. Unsere Arbeitsplätze haben Menschen aus den neuen Bundesländern bekommen. So entstand die Initiative Selbständiger Immigrantinnen. Die Idee von ISI hat mich fasziniert. Wir haben uns selbst geholfen, als es schwierig wurde und wir die ersten waren, die verloren haben.
Was wünschst du dir von der Politik, damit Frauen mit Migrationsgeschichte mehr Chancen, Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und mehr Teilhabe an der Gesellschaft haben?
Ich wünsche mir mehr Frauen in der Politik, dass man ihnen die Chance gibt, in die Politik zu kommen, damit sie auch Entscheidungen treffen können. Denn Frauen verstehen die Probleme von Frauen mit Migrationshintergrund besser, ob das die Familie ist, ob das die Kinder sind, ob das das Geld ist. Sie können die Probleme besser einschätzen und sind sensibler. Deshalb wünsche ich mir mehr Frauen in der Politik und nicht, weil wir als Frauen nur per Quote da sind.
Du bist seit vielen Jahren Schöffin
Ja, wie gesagt, ich bin jemand, der nicht wegschaut. Menschen sind mir wichtig. Ich liebe Menschen und Gerichte sind Orte, an denen ich auch etwas bewirken kann. Vielleicht wenn eine Frau mit Migrationshintergrund vor Gericht kommt, oder Kinder, Jugendliche, sehen mich mit meinen dunklen Haaren, das wirkt vielleicht beruhigend auf sie. Wenn ich damit etwas erreichen kann, dann bin ich zufrieden. Im Gericht kann ich keine wichtigen Entscheidungen treffen. Aber durch meine eigenen Erfahrungen und Kenntnisse kenne ich die Probleme, die Frauen oder Männer oder Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland haben. Zum Beispiel ein Kind, das hier geboren und aufgewachsen ist und keinen Pass hat. Da kann ich vielleicht einem Richter aus meiner Erfahrung sagen, wie das hinter den Kulissen abläuft. Und wenn ich da etwas jugendgerecht, sozial gerecht machen kann, dann bin ich zufrieden.
Welche Herausforderung siehst du als Vorstandsmitglied von ISI für die Zukunft?
Für unsere Frauen geht es nicht nur um Arbeit, Geld verdienen, sie finden hier auch ein Stück Sicherheit, ein Stück Heimat. Hier können sie sie selbst sein. Und ich mache mir Sorgen: die Kürzungen, die die Politik im Moment plant. Ich wünsche mir noch mehr ISI in ganz Deutschland, in ganz Europa, und ich habe Angst, dass diese Träume nicht wahr werden. Die Vision von ISI kann man überall bringen, weil diese Probleme, die sehe ich bei allen Frauen und in Europa sehe ich diesen Bedarf extrem. Menschen mit Migrationsgeschichte sind eine Bereicherung für die Gesellschaft. Wir bringen in unserer Vielfalt, Fähigkeiten, Kompetenzen und natürlich auch die Kontakte, die Netzwerke in die eigenen Länder, andere Ideen, anderes Wissen, andere Weisheit mit.
Welche Probleme hat eine Frau mit Migrationsgeschichte, die hier in Berlin ein Unternehmen gründen will?
Das sind die Hintergründe. Ob das zu Hause ist, ob das die Kinder sind, ob das der Migrationshintergrund ist. Wir reden immer von Integration, Gleichberechtigung auf Augenhöhe, aber es ist wirklich nicht viel davon umgesetzt worden. Solange es nicht wirklich hundertprozentige Gleichheit, Gerechtigkeit gibt, brauchen wir unbedingt für Frauen, vor allem mit Migrationshintergrund, solche Vereine wie ISI, solche Unterstützung und solche Aktivitäten.
Gibt Frauen bei ISI, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Ja, da gibt es einige, aber an eine erinnere ich mich ganz besonders. Vor Jahren habe ich vor dem Schönenberger Rathaus ISI-Flyer verteilt, da kam eine Frau und wollte keinen Flyer haben, sie sagte: „Was soll ich damit? Ich bin Ausländerin, ich bin Hausfrau, ich bin schwanger, ich habe noch ein Kind. Ich kann nichts, ich habe nichts gelernt“. Und ich: „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, etwas zu tun. Mach etwas, was du sonst gerne zu Hause machst“, „ich kann gar nichts“, sagte die Frau, „ich koche nur, ich backe gerne“. Dann bitte mach das, dann verkaufe es, mach Werbung im Internet, bei den Nachbarn, mach einen Katalog, irgendwas. Jetzt bist du schwanger, jetzt bist du zu Hause, jetzt kannst du damit anfangen.“ Ich dachte, ich sehe diese Frau nie wieder. Nach Jahren mache ich die Tür im ISI auf und eine erfolgreiche Geschäftsfrau kommt mir entgegen und sagt: „Du bist die Frau, die mir damals gesagt hat, nimm was du hast und mach was draus.“ Das war ein Glücksmoment für mich. Es gibt auch meine Jugendlichen, die jetzt erwachsene Männer sind, die mich umarmen, wenn sie mich sehen, und dann denke ich, okay, mein Leben hat einen Sinn.